Dokumentation: Das Todesurteil gegen Werner Holländer

Dokumentation

Das Todesurteil des Sondergerichts Kassel gegen Werner Holländer und der Prozess gegen seine Richter wegen Verdachts der Rechtsbeugung.

    Mit Urteil des Sondergerichts beim Oberlandesgericht Kassel vom 20. April 1943 wurde der 28-jährige Diplom-Ingenieur Werner Holländer wegen "Rassenschande" in vier Fällen zum Tode verurteilt. Holländer, der evangelisch getauft worden war und erst im Alter von 27 Jahren von seiner jüdischen Abstammung erfahren hatte, unterhielt Beziehungen zu "arischen" Frauen. Hierin erblickte das Sondergericht Kassel ein todeswürdiges Verbrechen der "Rassenschande".

Als "Rassenschande" galt gemäß § 2 des am 15. September 1935 verkündeten Gesetzes "zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" der außereheliche Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes. § 5 des Gesetzes drohte Männern, die gegen § 2 verstießen, Gefängnis oder Zuchthaus als Strafe an. Die 1. Ausführungsverordnung vom 14.11.1935 definierte in § 11: "Außerehelicher Verkehr im Sinne von § 2 des Gesetzes ist nur der Geschlechtsverkehr". Manche Landgerichte, deren Strafkammern in der Besetzung mit drei Berufsrichtern für die Aburteilung von Verstößen gegen das Blutschutzgesetz zuständig waren, wollten hierunter zunächst nur den Beischlaf verstanden wissen, obgleich der Große Senat des Reichsgericht schon mit Urteil vom 9. Dezember 1935 klargestellt hatte, dass der Begriff "Geschlechtsverkehr" nicht auf den Beischlaf beschränkt sei, sondern alle geschlechtlichen Betätigungen umfasse, die nach der Art ihrer Vornahme bestimmt seien, anstelle des Beischlafs der Befriedigung des Geschlechtstriebes zumindest eines Teils zu dienen. Diese Vorgabe ermutigte den 2. Strafsenat des Reichsgerichts in seinem Urteil vom 2. Februar 1939, sogar die von der Frau "geduldete" Selbstbefriedigung des Mannes als Rassenschande aufzufassen. Hohe Zuchthausstrafen wurden alsbald zum Regelfall.

Die Todesstrafe war im Blutschutzgesetz jedoch nicht vorgesehen. Das Sondergericht Kassel ermöglichte sich das Todesurteil gegen Werner Holländer durch eine neue rechtliche Konstruktion, indem es das Blutschutzgesetz mit dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933 kombinierte. Nach dem neu eingeführten § 20a des Strafgesetzbuches konnten bis zu 15 Jahre Zuchthaus gegen Angeklagte ausgesprochen werden, die drei vorsätzliche Straftaten begangen hatten, deren Gesamtwürdigung ergab, dass der Täter ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher sei. Ein weiteres Gesetz vom 4. September 1941 bestimmte darüber hinaus, dass gefährliche Gewohnheitsverbrecher der Todesstrafe verfallen, wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordern.

Werner Holländer wurde über diese kombinierte Gesetzesanwendung zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nach dem Krieg mussten sich seine Richter in zwei Prozessen wegen Verdachts der Rechtsbeugung vor dem Landgericht Kassel verantworten. In beiden Verfahren wurden sie freigesprochen. Das Landgericht Kassel bestätigte, dass Holländer völlig zu Recht wegen Rassenschande verurteilt worden sei und als Gewohnheitsverbrecher habe angesehen werden müssen. Lediglich die Verhängung der Todesstrafe sei rechtsfehlerhaft gewesen. Ein Rechtsbeugungsvorsatz sei den Angeklagten nicht nachzuweisen.

Eine vollständige Dokumentation des Falles finden Sie hier (PDF-Format).

Quellen:

NOAM, Ernst / KROPAT, Wolf-Arno - Justiz und Judenverfolgung, Band 1 - Juden vor Gericht, 1933-1945, Wiesbaden 1975, Dokumente aus hessischen Justizakten, Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen.

MORITZ, Klaus / NOAM, Ernst - Justiz und Judenverfolgung, Band 2 - NS-Verbrechen vor Gericht, 1945-1955, Wiesbaden 1978, Dokumente aus hessischen Justizakten, Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen.

KAMMLER, Jörg / KRAUSE-VILMAR, Dietfrid (Hrsg.) - Kassel in der Zeit des Nationalsozialismus, Band 1, Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Kassel 1933-1945, Eine Dokumentation, Kassel 1984.

BUNDESMINISTERIUM DER JUSTIZ (Hrsg.) - Im Namen des Deutschen Volkes, Justiz und Nationalsozialismus Katalog zur Ausstellung des Bundesministers der Justiz, Köln 1989.

FRIEDRICH, Jörg - Freispruch für die Nazi-Justiz, Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948, Eine Dokumentation, Hamburg 1983.

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