Entschädigung wegen begründungsloser Ablehnung der Bewerbung eines Schwerbehinderten.
Hessisches Landesarbeitsgericht
7. Kammer
Urteil vom 07.11.2005, 7 Sa 473/05
In dem Berufungsverfahren
...
hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 14, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 07 November 2005. Januar durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter ... und den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer für Recht erkannt:
Tatbestand:
Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch im Zusammenhang mit der Bewerbung
eines schwerbehinderten Arbeitnehmers.
Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger bewarb sich erfolglos um eine Stelle bei
der Beklagten. In seiner Bewerbung hatte er auf seine Behinderung hingewiesen. Die Beklagte
erteilte dem Kläger eine schriftliche Absage, ohne Gründe zu nennen. Mit der vorliegenden Klage
hat der Kläger erstinstanzlich eine Entschädigung in Höhe von 3 Monatsgehältern gefordert.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und
ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 92 – 97 d.A.)
verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen
Entschädigungsanspruch gem. § 81 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX in Höhe von 2.200,00 €, der vom Kläger
angegebenen Höhe eines Monatsgehalts, zugesprochen.
Gegen dieses Urteil vom 09. Februar 2005, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung
Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte hält die rechtlichen Folgerungen, die das Arbeitsgericht aus § 81 SGB IX gezogen
hat, für unzutreffend. Insbesondere äußert sie die Auffassung, Abs. 1 Satz 9 dieser Vorschrift sei
nur auf Betriebe anwendbar, in denen eine Schwerbehindertenvertretung besteht. Dass der
Gesetzgeber notwendigerweise von mehreren Beteiligten ausgeht, folge schon aus dem Satz
„Alle Beteiligten sind ... zu unterrichten“. Außerdem folge aus dem Gesetz nicht, dass der
Beklagten verwehrt sei, Ablehnungsgründe noch nachträglich vorzutragen. Die Rechtslage
entspreche der des § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB. Auch dort sei es dem Arbeitgeber möglich, noch
nachträglich Kündigungsgründe zu nennen. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass das
Arbeitsgericht, obwohl es selbst einen minder schweren Fall angenommen hat, dem Arbeitgeber
diese Möglichkeit der nachträglichen Rechtfertigung entzogen habe.
Die Beklagte beantragt
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines
erstinstanzlichen Vortrags.
Entscheidungsgründe:
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte
und begründete Berufung der Beklagten ist zulässig.
Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht
teilweise stattgegeben.
Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung
an (§ 69 Abs. 2 ArbGG), in der sowohl die Kommentierung als auch die bisher zu § 81 SGB IX
ergangene Rechtsprechung ausführlich gewürdigt wurden.
Inzwischen hat auch das Bundesarbeitgericht mit seinem Urteil vom 15. Februar 2005 – 9 AZR
635/03 – die im dortigen Verfahren vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
Regelung in § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX, nach der ein wegen seiner
Schwerbehinderung diskriminierter Bewerber, der auch bei benachteiligungsfreier Auswahl die
Stelle nicht erhalten hätte, Anspruch auf Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern hat,
verworfen. Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass der schwerbehinderte
Bewerber eine Beweislastverschiebung herbeiführen kann, wenn er Hilfstatsachen darlegt und
ggf. unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft
vermuten lässt. Schließlich hat es die Vermutung einer Benachteiligung wegen der
Schwerbehinderteneigenschaft angenommen, wenn der Arbeitgeber die
Schwerbehindertenvertretung entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht über die eingegangene
Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen unterrichtet hat.
Dem entsprechen die Feststellungen des Arbeitsgerichts im vorliegenden Fall, das die
Benachteiligung des Klägers ebenfalls wegen eines Verstoßes der Beklagten gegen eine
Informationspflicht im Rahmen des Bewerbungsverfahrens – hier der Pflicht zur Information über
die getroffene Entscheidung i.S.d. § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX – vermutet hat. Dies begegnet
keinen Bedenken seitens der Berufungskammer.
Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen:
Für eine Beschränkung des Geltungsbereichs des § 81 Abs. 1 auf solche Betriebe, in denen eine
Schwerbehindertenvertretung besteht, findet sich im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten im
Gesetz keine Stütze. Insbesondere folgt dies nicht aus der Formulierung in Satz 9 („Alle
Beteiligten ...“). Es hieße das Verhältnis von Voraussetzungen und Rechtsfolgen entgegen dem
erkennbaren Sinn der Vorschrift verdrehen, wollte man das Bestehen einer
Schwerbehindertenvertretung zur Voraussetzung für die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers
machen. Denn der Gesetzgeber wollte damit ganz offensichtlich bewirken, dass – wenn sie
besteht – auch die Schwerbehindertenvertretung neben dem Bewerber die Ablehnungsgründe
mitgeteilt bekommt, nicht aber das Bestehen der Schwerbehindertenvertretung zur Voraussetzung
der Informationspflicht machen. Im Übrigen beschränkt sich die Beteiligteneigenschaft auch nicht
auf den Bewerber und ggf. die Schwerbehindertenvertretung, sondern nach § 81 Abs. 1 Satz 4 bis
7 SGB IX sind auch die weiteren in § 93 SGB IX genannten Vertretungsgremien zu beteiligen.
Wenn der Gesetzgeber nun im vorletzten Satz der Verfahrensregelung die Informationspflicht
über die getroffene Entscheidung gegenüber „allen Beteiligten“ anordnet, so würde es jeglicher
sinnvollen Gesetzessystematik widersprechen, wenn das Verfahren selbst vom Bestehen der zu
beteiligenden Mitbestimmungsorgane abhängig gemacht würde.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch darauf hingewiesen, dass sich ein eingeschränkter
Geltungsbereich, wie ihn die Beklagte annimmt, nicht mit dem Schutzzweck der
Begründungspflicht vereinbaren ließe. Mit Hilfe der Begründungspflicht des § 81 Abs. 1 Satz 9
SGB IX soll das Einstellungsverfahren für den schwerbehinderten Menschen transparent und
überprüfbar gemacht werden. Diese Notwendigkeit besteht unabhängig davon, ob bei dem
jeweiligen Arbeitgeber eine Schwerbehindertenvertretung besteht oder nicht. Im Gegenteil müsste
in den Betrieben ohne Schwerbehindertenvertretung das Schutzbedürfnis des schwerbehinderten
Bewerbers gerade besonders groß sein, weil im Rahmen des Bewerbungsverfahrens keine
spezielle Vertretung über die spezifischen Interessen der schwerbehinderten Bewerber wacht.
Gerade in solchen Betrieben ist die umfassende Information des schwerbehinderten Bewerbers
selbst zur Überprüfung der Arbeitgeberentscheidung besonders wichtig.
Dem Arbeitsgericht ist auch insofern zu folgen, als es die nachträgliche Heilung der fehlenden
Begründung regelmäßig ausgeschlossen und nur für solche Gründe ermöglicht hat, die dem
Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Ablehnung nicht bekannt waren. Die Zulassung nachträglicher
Begründung widerspräche der gesetzlich angeordneten Pflicht zur unverzüglichen Angabe von
Gründen. Sie ermöglichte dem Arbeitgeber, das Benachteiligungsverbot jederzeit unter
Missachtung der Formvorschriften zu umgehen, um dann im Falle der entsprechenden Rüge noch
Gründe nachzutragen. Dies widerspräche den bereits aufgeführten Intentionen des
Gesetzgebers bei der Schaffung der Formvorschriften des § 81 Abs. 1 SGB IX.
Auch der Hinweis der Beklagten auf § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB verfängt nicht, da diese Vorschrift
völlig anders ausgestaltet ist. Im Gegensatz zu § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX, der eine unbedingte
Informationspflicht konstituiert, fordert § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB die Mitteilung der
Kündigungsgründe ausdrücklich nur auf Verlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand keine
gesetzlich begründbare Veranlassung.