Gerichtsentscheidung: Gebührenrecht



§ 58 Abs. 2 RVG, § 15a RVG

Zur Anrechung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei Prozesskostenhilfe
Die nachfolgenden Beschlüsse wurden durch das OLG Frankfurt bestätigt.

Landgericht Kassel
9. Zivilkammer
Beschluß vom 23.09.2012, 9 O 225/11


In dem Rechtsstreit

des Herrn W, Kläger
Prozessbevollmächtigte : Rechtsanwalt Frank Löwenstein, Altenritter Straße 9, 34225 Baunatal,

gegen

H. AG, Beklagte,
Prozeßbevolmächtigte: Rechtsanwälte B.,

weitere Beteiligte:
1. Rechtsanwalt Frank Löwenstein, Altenritter Straße 9, 34225 Baunatal, Beschwerdeführer,
2. Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Kassel - als Vertreterin des Landes Hessen-, Beschwerdegegnerin,

hier: Festsetzung des aus der Landeskasse zu zahlenden Vorschusses des beigeordneten Rechtsanwalts (§ 55 RVG)

Auf die Beschwerde vom 13.08.2012 wird der Beschluss vom 02.08.2012 aufgehoben sowie die in der Verfügung vom 26.06.2012 enthaltene Festsetzung geändert und wie folgt neu gefasst:

    Auf den Antrag des Beschwerdeführers vom 12.03.2012 wird der an ihn aus der Landeskasse zu zahlende Vorschuss auf entstandene Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen auf 861,32 € festgesetzt.

    Die Abhilfeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Dem Kläger, der von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung beansprucht, war, nachdem er seine Ersparnisse verbraucht hatte, mit Beschluss vom 25.01.2012 der Beschwerde führende Rechtsanwalt im Rahmen der ratenfreien Prozesskostenhilfebewilligung zur Wahrnehmung seiner Rechte beigeordnet worden.

In derselben Angelegenheit hatte der Beschwerdeführer den Kläger vorprozessual bereits seit dem 25.03.2011 vertreten und hierfür von dem Kläger u.a. eine mit einem 1,3-fachen Satz berechnete Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 W, § 13 RVG in Höhe von 1.079,- € netto vergütet erhalten.

Nachdem der Beschwerdeführer unter dem 27.02.2012 im schriftlichen Vorverfahren zugunsten des Klägers antragsgemäß ein Versäumnisurteil erwirkt hatte, in dem u.a. ein Anspruch des Klägers auf Freistellung von den vorprozessualen Gebühren und Kosten des Beschwerdeführers tituliert ist, hat letzterer - nach fristgerechtem Einspruch der Beklagten - mit Antrag vom 12.03.2012 einen Vorschuss auf die PKHVergütung in Höhe von 861,32 € brutto gefordert und dabei unter anderem die Festsetzung eines ungekürzten Vorschusses auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 W, § 49 RVG in Höhe von 508,30 € netto begehrt.

Die im Festsetzungsverfahren als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle tätig gewesene Rechtspflegerin hat dem Beschwerdeführer mitgeteilt, die vorgerichtlich entstandene und titulierte Geschäftsgebühr sei auf die Verfahrensgebühr der PKHVergütung anzurechnen. Der Beschwerdeführer ist dieser Auffassung unter Bezugnahme auf Entscheidungen des OLG München und des OLG Braunschweig (OLG München, Beschluss vom 10.12.2009- 11 W 2649/09, juris und OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.03.2011- 2 W 18/11, juris) entgegengetreten. Die ergänzend angehörte Vertreterin der Landeskasse hat auf eine Entscheidung 18. Zivilsenates des OLG Frankfurt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.12.2011, 18 W 214/11, juris) verwiesen.

Mit Verfügung vom 26.06.2012 hat die Rechtspflegerin unter Wiederholung der bereits mitgeteilten Auffassung und unter Hinweis auf die vorgenannte Entscheidung des 18. Zivilsenats des OLG Frankfurt die an den Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf 558,88 € festgesetzt.

Der Beschwerdeführer hat zunächst mit mit Beschluss vom 02.08.2012 abschlägig beschiedener Erinnerung vom 26.07.2012 die Festsetzung des von seinem Antrag vom 12.03.2012 abgesetzten Betrages in Höhe von 254,15 € zzgl. Mehrwertsteuer verlangt. Mit am 13.08.2012 eingegangener Beschwerde verfolgt er sein Begehren unter abermaliger Bezugnahme auf die anderweitige obergerichtliche Rechtsprechung sowie mit der Auffassung, die Entscheidung des 18. Zivilsenates des OLG Frankfurt vom 12.12.2011 sei infolge der zwischenzeitlichen Entscheidung des 4. Familiensenates desselben Gerichts (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, 4 WF 204/11) "überholt", weiter.

II.

Die gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige befristete Beschwerde führt nach anderweitiger Überprüfung im Rahmen der Abhilfe zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 0.2.08.2012 und zur vom Beschwerdeführer erstrebten Abänderung bei gleichzeitiger - zur Klarstellung gebotener - Neuformulierung des Entscheidungstenors der Festsetzungsverfügung vom 26.06.2012.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der Beschwerdeführer als im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse. Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2. Abs. 2 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 des RVG. Für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen kann der Beschwerdeführer gern. § 47 Abs. 1 Satz 1 RVG einen angemessenen Vorschuss fordern.

Im Hinblick auf die bereits ins Verdienen gebrachten Gebühren des Beschwerdeführers war gegen die Landeskasse ein Vorschuss in Höhe von 861,32 € als angemessen festzusetzen.

Die in der angefochtenen Ausgangsentscheidung vorgenommene Absetzung in Höhe von 254,15 € zzgl. Mehrwertsteuer, die angesichts ihrer knappen und jedenfalls vorliegend richtigerweise in die Beschlussform zu kleiden gewesenen Begründung nur im Ansatz nachvollzogen werden kann, hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand. Die bei der Festsetzung durch die Rechtspflegerin offenbar vorgenommene teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 W RVG entsprechend der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, die angesichts der vorliegend vorgenommenen Berechnung einer Geschäftsgebühr nach der Gebührentabelle des § 13 RVG konsequenterweise weit umfangreicher und der Landeskasse günstiger hätte ausfallen müssen (vgl. die Berechnung bei OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.12.2011, 18 W 214/11, zitiert nach juris), mag nach Grund und Höhe für "Altfälle" in Anwendung der in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 07.03.2007 (BGH, Urteil vom 07.03.2007- VIII ZR 86/06, juris) begründeten Rechtsprechung zur dogmatisch richtigen Anwendung der vorgenannten Anrechnungsbestimmung, berechtigt sein. Dies kann vorliegend indes dahinstehen.

Der Beschwerdeführer ist nämlich erst seit dem 25.03.2011, mithin unter Geltung der am 05.08.2009 in Kraft getretenen Regelungen des Artikel 7 Abs. 4 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren, im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.07.2009 (BGBl. I S. 2449 ff.), für den Kläger tätig gewesen.

Allerdings kommt grundsätzlich auch in solchen "Neufällen" eine Anrechnung der in derselben Angelegenheit entstandenen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei der Vornahme der Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden PKHVergütung oder des Vorschusses hierauf in Betracht. Dies ergibt sich aus dem Abs. 1 des neugeschaffenen § 15a RVG (mit unterschiedlicher Herleitung: einerseits OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.03.2011- 2 W 18/11, juris; andererseits Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 10.05.2011- 13 KO 276/11, 13 KO 580/11, juris und OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, 4 WF 204/11, juris).

Maßgeblich für die Anwendbarkeit des § 15a Abs. 1 RVG im vom beigeordnetem Rechtsanwalt gegen die Staatskasse betriebenen Festsetzungsverfahren sind allerdings nicht Gesichtspunkte der Titulierung oder gar der Erfüllung. Auf diese Gesichtspunkte könnte sich die Staatskasse vorliegend ohnehin nicht berufen, als weder hinsichtlich der Geschäftsgebühr im Verhältnis von beigeordnetem Rechtsanwalt zu Staatskasse ein Vollstreckungstitel besteht geschweige denn die Staatskasse Zahlungen auf die vom Beschwerdeführer verdiente Geschäftsgebühr erbracht hat. Dieses hatte vielmehr noch der zwischenzeitlich "verarmte" Mandant des Beschwerdeführers selbst besorgt. Entscheidend für die Anwendbarkeit des § 15a Abs. 1 RVG (auch) im Festsetzungs verfahren nach § 55 RVG ist vielmehr das Verständnis von der Rolle der Staatskasse, die als Gebührenschuldner mit der Beiordnung an die Stelle des Mandanten des beigeordneten Rechtsanwalts tritt und deshalb nicht Dritter im Sinne des § 15a Abs. 2 RVG ist (Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 10.05.2011- 13 KO 276/11, 13 KO 580/11, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.12.2011, 18 W 214/11, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, 4 WF 204/11, juris). Dass aber im vom beigeordneten Rechtsanwalt gegen Staatskasse betriebenen Festsetzungsverfahren bei vorprozessualer Tätigkeit in derselben Angelegenheit eine Anrechnung der einen auf die andere Gebühr beachtlich ist, mit anderen Worten grundsätzlich auch bei der Vornahme der Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden PKH-Vergütung oder des Vorschusses hierauf eine Anrechnung der in derselben Angelegenheit entstandenen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr in Betracht kommt, ist als solches ("Ob") ein bloßes Zwischenergebnis. Es bedarf deshalb zur Vollendung der konkret berechneten Ausfüllung durch Anwendung der Anrechnungsbestimmungen, die im vorliegenden Vorschussfestsetzungsverfahren bislang unterblieben ist. Die Ausfüllung durch Anwendung der jedenfalls für die "Neufälle" geltenden Anrechnungsbestimmungen ("Wie") führt in der vorliegenden Konstellation dazu, dass der zu bestimmende Anrechnungsbetrag der Geschäftsgebühr mit "Null" zu bewerten ist, im Ergebnis eine Kürzung der zur Festsetzung angemeldeten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, § 49 RVG in Höhe von 508,30 € netto anders als bislang geschehen gerade nicht vorzunehmen ist. Dies gilt sogar eingedenk des Umstandes, dass der Beschwerdeführer wegen der seinem Mandanten in Rechnung gestellten Geschäftsgebühr gern. Nr. 2300 W, § 13 RVG in Höhe von 1.079,- € netto durch diesen vollständig befriedigt ist. Dem steht der in § 15a Abs. 1 RVG enthaltene - bei Festsetzungsanträgen gegen die Staatskasse durch die in § 55 Abs. 5 RVG enthaltenen Bestimmungen bekräftigte - Gedanke (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, 4 WF 204/11, juris), dass der Rechtsanwalt für dieselbe von ihm außergerichtlich und gerichtlich betriebene Angelegenheit nicht doppelt vergütet werden soll, nicht entgegen.

Denn § 15a Abs. 1 RVG beschreibt in Reaktion auf die Kritik an der oben erwähnten Rechtsprechung des 8. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Vorbemerkung 3 Abs. 4 W RVG (BGH, Urteil vorn 07.03.2007- VIII ZR 86/06, juris) lediglich das rechtsdogmatische "Wie" der Anrechnung, nämlich dahingehend, dass der Rechtsanwalt beide zur Anrechnung stehenden Gebühren fordern kann, nicht jedoch mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Zur Frage der Ermittlung des Anrechnungsbetrages verhält sich die Norm indes nicht, weshalb in einem Zwischenschritt der Anrechnungsbetrag umfangmäßig zu bestimmen ist.

Das rechtstechnischen "Wie" der Ermittlung des Anrechnungsbetrages bei der Anrechnung der entstandenen und bereits bezahlten Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV, 13 RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, 49 RVG ergibt sich nach überwiegender obergerichtlicher Auffassung durch Anwendung von § 58 Abs. 2 RVG dergestalt, dass die Zahlung nur insoweit auf den Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse angerechnet wird, als sie die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung für das konkrete Verfahren übersteigt (so: OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2006- 6 WF 32/06, juris; OLG München, Beschluss vom 10.12.2009-.11 W 2649/09, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.03.2011- 2 W 18/11, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.07.2011- 6 W 55/10, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 01.09.2011- 13 W 29/11, juris; offengelassen: Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 10.05.2011- 13 KO 276/11, 13 KO 580/11, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, 4 WF 204/11, juris; a.A.: OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.02.2010- 18 W 3/10, juris).

Dieser Auffassung schließt sich das Gericht jedenfalls für die "Neufälle" an. Sie kann sich neben dem Wortlaut des § 58 Abs. 2 RVG und der systematischen Einordnung der Vorschrift im Abschnitt 8 des RVG nunmehr zusätzlich auf den Willen des Gesetzgebers stützen, als es in der Gesetzesbegründung zum neugefassten und ergänzten Abs. 5 des § 55 RVG in der seit 05.08.2009 geltenden Fassung in Bezug auf die bei der Beantragung geforderten Angaben heißt, mit diesen stünden dem Urkundsbeamten für die Festsetzung der Vergütung alle Daten zur Verfügung, die er benötige, um zu ermitteln, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG auf die anzurechnende Gebühr als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln seien (vgl. BT-Drucks. 16/12717, S. 59). Schließlich ist unter der Geltung von § 15a Abs. 1 RVG das gegen das hiesige rechtstechnische Anrechnungsverständnis ins Feld geführte und nach alter Rechtslage durchaus berechtigte (vgl. BGH, Urteil vom 07.03.2007- VIII ZR 86/06, juris) Argument, aufgrund der Vorbemerkung 3 Abs. 4 W RVG entstehe die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 W RVG von vornherein nur in gekürzter Höhe, entfallen.

Es ist danach bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung im Anrechnungsfalle in Anwendung von § 58 Abs. 2 RVG in einem Zwischenschritt der konkret anzurechnende Betrag aus dem Saldo von grundsätzlich anrechnungsfähigem Betrag und dem sich aus der Differenz von Prozesskostenhilfevergütung zur Wahlanwaltsvergütung ergebenden "Anrechnungsfreibetrag" zu ermitteln. Nur wenn und soweit der grundsätzlich anrechnungsfähige Betrag den Anrechnungsfreibetrag übersteigt, ist dieser überschießende Teil auf die von der jeweiligen Anrechnungsvorschrift erfasste gegen die Staatskasse festzusetzende Gebühr anzurechnen. Bei Nachholung dieser gebotenen Berechnung ergibt sich vorliegend, dass auf den Antrag des Beschwerdeführers vom 12.03.2012 der an ihn aus der Landeskasse zu zahlende Vorschuss auf entstandene Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen antragsgemäß auf 861,32 € wie folgt festzusetzen gewesen wäre:

Streitwert: mindestens 30.000,01 €
1. 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG, § 49 RVG 508,30 €
2. Anrechnung gem. Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a RVG
a) Ermittlung des grundsätzlich anrechnungsfähigen Betrages:
0,65 Geschäftsgebühr nach 2300 VV RVG, § 13 RVG 539,50€
b) Ermittlung des Anrechnungsfreibetrages
aa) Wahlanwaltsvergütung
1,3 Geschäftsgebühr nach 2300 VV RVG, 13 RVG 1.079,00 €
./. 0,65 Geschäftsgebühr gem. Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG -539,50 €
1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 W RVG, § 13 RVG 1.079,00 €
0,5 Terminsgebühr nach 3105 VV RVG , § 13 RVG 415,00 €
2 x Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG 40,00 €
Zwischensumme: 2.073,50 €
19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG 393,97 € Summe: 2.467,47 €

bb) Prozesskostenhilfevergütung
1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 W RVG, § 49 RVG 508,30 €
0,5 Terminsgebühr nach 3105 VV RVG, § 13 RVG 195,00 €
Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Zwischensumme 723,80 €
19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 W RVG 137,52 €
Summe 861,32 €
Anrechnungsfreibetrag (aa) ./. bb): 1.606,14 €
c) konkret anrechenbarer Betrag, da a) < b): 0,00 €

3. 0,5 Terminsgebühr nach 3105 VV RVG, § 49 RVG 195,50 €
4. Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
5. Zwischensumme 723,80 €
6. 19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG 137,52 €
Summe 861,32 €


Landgericht Kassel
9. Zivilkammer
Beschluß vom 10.10.2012, 9 O 225/11

hier: Beschwerde gegen die Festsetzung des aus der Landeskasse zu zahlenden Vorschusses des beigeordneten Rechtsanwalts (§ 56 Abs. 2 RVG)

    Der Beschwerde der Landeskasse vom 08.10.2012 gegen den Beschluss vom 23.09.2012 wird nicht abgeholfen. Sie wird dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

Die nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige befristete Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen erlaubt eine der Landeskasse günstige Abhilfeentscheidung gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 RVG nicht.

Die in Höhe von 861,32 € erfolgte Festsetzung des aus der Landeskasse zu zahlenden Vorschusses des beigeordneten Rechtsanwalts ist zu Recht erfolgt. Es war antragsgemäß insbesondere eine (unverminderte) 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, § 49 RVG in Höhe von 508,30 € netto bei der Festsetzung des Vorschusses in Ansatz zu bringen.

Allerdings liegt, wie von der Vertreterin der Landeskasse zutreffend bemerkt und vom befassten Einzelrichter bereits in der angefochtenen Entscheidung zugestanden, jedenfalls in der vorliegenden Konstellation - der beigeordnete Rechtsanwalt ist wegen seiner in derselben Angelegenheit ins Verdienen gebrachten Geschäftsgebühr befriedigt - ein Fall grundsätzlicher Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vor. Die Entscheidung über die festzusetzende Höhe des aus der Landeskasse zu zahlenden Vorschusses des beigeordneten Rechtsanwalts und damit auch der Erfolg der Beschwerde der Landeskasse hängt hiernach ausschließlich von der Rechtsfrage ab, wie bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung im Anrechnungsfalle der Anrechnungsbetrag zu bestimmen ist.

Die Vertreterin der Landeskasse zieht sich unter wiederholter Bezugnahme auf die auf die Entscheidung 18. Zivilsenates des OLG Frankfurt vom 12.12.2011 (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.12.2011- 18 W 214/11, juris) auf die Ansicht zurück, (auch) in einem solchen Falle sei die hälftigen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 W RVG, § 13 RVG (Wahlanwaltsvergütung) auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, § 49 RVG (Prozesskostenhilfevergütung) anzurechnen, was vorliegend angesichts der bei dem hohen Streitwertes unterschiedlichen Gebühren von Wahlanwalts- und Prozesskostenhilfevergütung zur Folge hätte, dass die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 W RVG, § 49 RVG vollständig aufgezehrt wäre.

In dem angefochtenen Beschluss hatte der befasste Einzelrichter demgegenüber die Auffassung vertreten, bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung sei im Anrechnungsfalle in Anwendung von § 58 Abs. 2 RVG in einem Zwischenschritt der konkret anzurechnende Betrag aus dem Saldo von grundsätzlich anrechnungsfähigem Betrag und dem sich aus der Differenz von Prozesskostenhilfevergütung zur Wahlanwaltsvergütung ergebenden "Anrechnungsfreibetrag" zu ermitteln Nur wenn und soweit der grundsätzlich anrechnungsfähige Betrag den Anrechnungsfreibetrag übersteige, sei dieser überschießende Teil auf die von der jeweiligen Anrechnungsvorschrift erfasste gegen die Staatskasse festzusetzende Gebühr anzurechnen. Der befasste Einzelrichter teilt zwar die Auffassung, dass die Entscheidung des 18. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 12.12.2011 (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.12.2011- 18 W 214/11, juris) jedenfalls in der hier entscheidenden Rechtsfrage keineswegs durch die Entscheidung des 4. Familiensenats des OLG Frankfurt vom 20.03.2012 (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, 4 WF 204/11, juris) "überholt" ist. Auch war im angefochtenen Beschluss (Seite 4. letzter Absatz) bereits beiläufig bemerkt worden, dass bei konsequenter Umsetzung der vom 18. Zivilsenat des OLG Frankfurt in der Entscheidung vom 12.12.2011 vorgenommenen Berechnung die Festsetzung der Landeskasse weit günstiger hätte ausfallen müssen.

Gleichwohl betrachtet sich der befasste Richter mit seiner Rechtsauffassung nicht als im Widerspruch zur Entscheidung des 18. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 12.12.2011 befindlich. Jene Entscheidung enthält nämlich keine selbstständige Begründung der dort praktizierten vollständigen Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, § 13 RVG (Wahlanwaltsvergütung) auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, § 49 RVG (Prozesskostenhilfevergütung). Der 18. Zivilsenat nimmt dort lediglich Bezug auf seine Entscheidung vom 12.02.2010 (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.02.2010 - 18 W 3/10, juris), die sich allerdings auf einen sog. "Altfall" bezieht und im hier entscheidenden Rechtspunkt eine andere Auffassung einnimmt als der 6. Familiensenat des OLG Frankfurt in der ebenfalls einen "Altfall" betreffenden Entscheidung vom 27.04.2006 (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2006- 6 WF 32/06, juris).

Nachdem auch der 4. Familiensenat des OLG Frankfurt die hier interessierende Rechtsfrage in seiner Entscheidung vom 20.03.2012 (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, 4 WF 204/11, juris) offenlassen konnte, ist zu festzustellen, dass es seitens des hiesigen Obergerichts offenkundig bislang keine (veröffentlichen) Entscheidungen zu den sog. "Neufällen" gibt, die sich mit der Frage der Anwendbarkeit von § 58 Abs. 2 RVG bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung im Anrechnungsfalle begründet auseinandersetzen. An seiner im angefochtenen Beschluss geäußerten Rechtsauffassung hält der befasste Einzelrichter auch nach Kenntnisnahme des Beschwerdevorbringens, das keine neuen Gesichtspunkte zugunsten der dort eingenommenen Ansicht aufzeigt, aus den fortbestehenden Gründen des angefochtenen Beschlusses fest. Das Beschwerdevorbringen lässt insbesondere jegliche Auseinandersetzung mit den nach wie vor für zutreffend erachteten und in dem im angefochtenen Beschluss wiedergegebenen Argumenten zugunsten der mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2006- 6 WF 32/06, juris; OLG München, Beschluss vom 10.12.2009- 11 W 2649/09, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.03.2011- 2 W 18/11, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.07.2011- 6 W 55/10, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 01.09.2011- 13 W 29/11, juris) vertretenen Auffassung, § 58 Abs. 2 RVG sei als Sondervorschrift den allgemeinen Anrechnungsbestimmungen des RVG in den im Abschnitt 8 des RVG behandelten Festsetzungsfällen vorgreiflich, vermissen.

Soweit die Vertreterin der Landeskasse im drittletzten Absatz der Beschwerdeschrift Vergleichsüberlegungen und -berechnungen für den Fall anstellt, dass auch das Prozessmandat im Wahlanwaltsverhältnis geführt, räumt sie selbst ein, dass der Vergütung begehrende Rechtsanwalt in diesem Falle immerhin eine durch Anrechnung verminderte Verfahrensgebühr von jedenfalls 539,50 € zu beanspruchen hätte. Ist der Mandant aber wie hier "verarmt", was durch o den - Prozesskostenhilfebewilligungsbeschluss vom 25.01.2012, ohne dass dies von der, Landeskasse angefochten wird, festgestellt ist, würde man das Insolvenzrisiko des Mandanten dem Rechtsanwalt aufbürden. Dieses Ergebnis ist aber nicht mit der Vorschrift des § 45 Abs. 1 RVG vereinbar. Hiernach erhält der im Wege der. Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt, "soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist", die gesetzliche Vergütung in Verfahren in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse. Eine "andere Bestimmung" zum Insolvenzrisiko des Mandanten enthält der Abschnitt 8 des RVG aber nicht, sehr wohl aber die Anrechnungsbestimmung des § 58 Abs. 2 RVG, die bei ihrer Anwendung das hier getroffene Ergebnis trägt. Soweit die Vertreterin der Landeskasse im vorletzten Absatz quasi hilfsweise geltend macht, die Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG könne nicht dazu führen, dass die vom Mandanten erfolgten Zahlungen auf die gesamte Wahlanwaltsvergütung verrechnet werden, die Zahlungen seien allenfalls auf die nach der Tabelle des § 13 RVG ermittelten Verfahrensgebühr anzurechnen, ist dies angesichts des hier erreichten Streitwertes von mehr als 30.000,- € im Ergebnis ohne Belang, denn selbst dann, wenn man von der 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, § 13 RVG in Höhe von jedenfalls 1.079,- € netto eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, 13 RVG von 0,65, mithin in Höhe von 539,50 € netto abzöge, verbliebe eine Verfahrensgebühr des Wahlanwalts in Höhe von jedenfalls 539,50 € netto, die immer noch höher wäre als die unverminderte und bei der hiesigen Vorschussfestsetzung in Ansatz gebrachte Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts nach Nr. 3100 W RVG, 49 RVG in Höhe von 509,30 € netto.



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