Unzulässige Privatisierung des Ermittlungsverfahrens
Landgericht Kiel
Beschluß vom 14.08.2006, 37 Qs 54/06
In dem Ermittlungsverfahren
gegen X
wegen Y
hat die VII. Große Strafkammer des Landgerichts Kiel auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom
22.Juni 2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 12. Juni 2006, durch den festgestellt wurde,
dass die Hinzuziehung des Mitarbeiters des Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen
e.V. zur Durchsuchung und die anschließende Übersendung der sichergestellten Datenträger zur Auswertung
an den Verein rechtswidrig war, am 14. August 2006 beschlossen:
Gründe:
Die Beschwerdebegründung vermag die zutreffende Begründung des Beschlusses des Amtsgericht Kiel
vom 12. Juni 2006 nicht zu erschüttern.
1. Das Amtsgericht gibt zunächst den rechtlichen Rahmen zutreffend wieder. Zwar ist nach den Bestimmungen
der StPO der Kreis der Personen, die bei einer Durchsuchung zugegen sein dürfen, nicht abschließend
und fest umrissen. Grenzen ergeben sich aber aus Aufgabe und Stellung, die den Ermittlungsbehörden im
gesetzlich geordneten Ermittlungs- und Strafverfahren zukommt. Gemeinsam mit den Gerichten erfüllt die
Staatsanwaltschaft die Aufgabe der Justizgewährung, in deren Rahmen sie an das Legalitätsprinzip gebunden
ist. Aus dieser Stellung folgt, dass sie zur Unparteilichkeit verpflichtet ist. Sie hat ihr Handeln so einzurichten,
dass beim Bürger kein nachvollziehbarer Verdacht dahingehend entstehen kann, die Staatsanwaltschaft
habe gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstoßen. Beauftragt die Staatsanwaltschaft die Polizei,
für sie Ermittlungshandlungen vorzunehmen, hat das Handeln der Polizei den gleichen Anforderungen zu
genügen. Das bedeutet nicht, dass es den Ermittlungsbehörden generell verwehrt wäre, Privatpersonen zur
Durchsuchung – oder auch anderen Ermittlungshandlungen – hinzuzuziehen, doch muss die Hinzuziehung
für den Fortgang der Ermittlungen erforderlich sein. Das folgt für Durchsuchungen im Übrigen auch daraus,
dass die Durchsuchung einen Grundrechtseingriff darstellt, der verhältnismäßig sein muss und nur so weit
gehen darf, wie dies unbedingt erforderlich ist. Erst recht gilt dies für die Hinzuziehung von Personen, die
selbst ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben. Unter besonderen Umständen kann aber auch deren
Hinzuziehung durch die Ermittlungen geboten sein, wie etwa bei Diebesgut, das nur durch den Geschädigten
und nur vor Ort identifiziert werden kann (wegweisend OLG Hamm, Beschl. v. 16. Januar 1986, Az. 1
VAs 94/85, NStZ 1986, 326, m.w. Nachw.).
2. Diesen Anforderungen genügt die Hinzuziehung eines Mitarbeiters der Gesellschaft zur Verfolgung von
Urheberrechtsverletzung e.V. (GVU) zur Durchsuchung und die anschließende Übersendung der sichergestellten
Datenträger zur Auswertung an den Verein im vorliegenden Verfahren nicht.
a) Mit dem Amtsgericht ist zunächst davon auszugehen, dass der Mitarbeiter der GVU von der Polizei zur
Durchsuchung sowie im weiteren Ermittlungsverfahren als Sachverständiger hinzugezogen wurde. Das ist
den Umständen zu entnehmen, auch wenn der genaue Grund und Auftrag an den Mitarbetier der GVU nicht
aktenkundig gemacht ist. Ausweislich des Durchsuchungsprotokolls vom 17.November 2005 (Bl. 12- 14
d.A.) überprüfte der Mitarbeiter der GVU den Rechner des Beschuldigten, traf Feststellungen dazu, welche
Programme zum Datentausch auf dem aufgefundenen Rechner installiert waren, erläuterte deren Funktionsweise
und beriet die Polizeibeamten dahingehend, dass „sich eine Auswertung des PC lohnen würde“.
Das sind typische Tätigkeiten eines Sachverständigen.
b) Zu Recht geht das Amtsgericht davon aus, dass auch schon bei der Auswahl von Sachverständigen im
Ermittlungsverfahren das o.g. Gebot der Unparteilichkeit zu beachten ist. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft,
der frühest mögliche Zeitpunkt, zu dem ein Sachverständiger abgelehnt werden kann, sei der
Beginn des Zwischenverfahrens, verfängt nicht. Die Bindung der Ermittlungsbehörden wie der Gerichte an
das Gesetz besteht unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen gegen eine Rechtsverletzung
Rechtsmittel oder überhaupt subjektive Abwehrrechte gegeben sind. Deshalb verbietet es sich auch
dann, „sehenden Auges“ eine nicht neutrale Person zum Sachverständigen zu bestellen, wenn gegen die
Bestellung selbst kein Rechtsmittel des Betroffenen gegeben ist. Im Übrigen wäre es auch sinnwidrig, eine
Person zum Sachverständigen zu bestellen, die später mit Erfolg abgelehnt werden könnte und eine erneute
Begutachtung erforderlich machen würde.
c) Unerheblich für die Anwendung o.g. Grundsätze ist auch, dass die Polizeibeamten vorliegend die Hinzuziehung
des Mitarbeiters der GVU zur Durchsuchung eigenmächtig vorgenommen haben. Die Übersendungsverfügung
der Staatsanwaltschaft lautete: „Ggf. mag im Erfolgsfall zur Auswertung die GVU herangezogen
werden“. Damit hat die Staatsanwaltschaft die Hinzuziehung zur Durchsuchung gerade nicht angeordnet.
Dies ist aber unerheblich, weil – wie bereits ausgeführt – die Polizei denselben Anforderungen wie
die Staatsanwaltschaft zu genügen hat, wenn sie für die Staatsanwaltschaft Ermittlungshandlungen vornimmt.
d) Zur Recht geht das Amtsgericht davon aus, dass es sich bei dem Mitarbeiter der GVU um keinen neutralen
Sachverständigen handelt. Dafür spricht entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft schon der
Umstand, dass es sich bei der GVU um eine Organisation von Unternehmen der Film- und Software- Entertainmentbranche
und ihrer nationalen und internationalen Verbände handelt, die sich satzungsgemäß die
Ermittlung und Verfolgung von Fällen der sog. Produktpiraterie zur Aufgabe gemacht hat. Das unterscheidet
ihre Mitarbeit erheblich von neutralen Sachverständigen, die am Ausgang, des Verfahrens kein Interesse
haben, erst Recht nicht das Interesse einer Ermittlung und Verfolgung gerade der zu untersuchenden Tat.
Darüber hinaus folgt die fehlende Unparteilichkeit des hinzugezogenen Mitarbeiters der GVU aber aus Weiterem:
Er hat wesentliche Teile des Ermittlungsverfahrens selbst übernommen. Vor Ort bei der Durchsuchung
hat er selbständig den Rechner überprüft, alle für die weitere Untersuchung erforderlichen Feststellungen
getroffen und den weiteren Gang der Untersuchung de facto bestimmt, war mithin investigativ tätig.
Er erhielt sogleich im Anschluss an die Durchsuchung sämtliche sichergestellten Gegenstände „für die weitere
Bearbeitung / Auswertung“. Dann fertigte er am 29. November 2005 einen Auswertungsbericht, behielt
die sichergestellten Gegenstände aber weiterhin und überließ diese – nach Aktenlage ohne jede Rücksprache
mit Polizei oder Staatsanwaltschaft – der Rechtsabteilung der GVU. Diese fertigte in Vollmacht „der
Rechteinhaber“ eine umfassende Strafanzeige einschließlich rechtlicher Würdigung und Hinweisen an die
Staatsanwaltschaft nach RiStBV und übersandte mit der Strafanzeige die beschlagnahmten Gegenstände
zurück. Dabei enthält der Auswertungsbericht nur wenige, die Strafanzeige die wesentlich relevanteren Angaben,
so dass sie – ob gewollt oder nicht – ohne viel weiteres als Abschlussverfügung übernommen werden
könnte.
Bei einer derart weitreichenden „Privatisierung des Ermittlungsverfahrens“, bei der Polizei und Staatsanwaltschaft
nur noch formal in Erscheinung treten, sämtliche wesentlichen Ermittlungsschritte aber von der GVU
bestimmt oder durchgeführt wurden, haben die Ermittlungsbehörden nicht nur ihr Handeln nicht so eingerichtet,
dass beim Bürger kein nachvollziehbarer Verdacht dahingehend entstehen kann, die Staatsanwaltschaft
habe gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstoßen. Dieser Eindruck muss sich dem Bürger vielmehr geradezu
aufdrängen. Über eine tatsächliche Parteilichkeit der Staatsanwaltschaft oder der Polizei ist damit –
entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft – nichts gesagt.
e) Es handelt sich auch nicht um einen Ausnahmefall, in dem die Heranziehung einer nicht unparteilichen
Person für den Erfolg der Ermittlungen geboten gewesen wäre. Weder handelte es sich um individuelle Gegenstände,
die nur ein Mitarbeiter der GVU hätte identifizieren könne, noch erforderte die Sicherstellung
einen gesteigerten technischen Sachverstand. Es ist gerichtsbekannt, dass im Gegenteil wesentlich komplexere
informationstechnologische Fragen als das Aufspüren von Raubkopien auf einem PC oder von selbstgebrannten
CDs von Mitarbeitern der schleswig- holsteinischen Strafverfolgungsbehörden ohne Schwierigkeiten
regelmäßig bewältigt werden. Ebenso kann die Argumentation der Staatsanwaltschaft mit dem Kostengesichtspunkt
– möglicherweise der eigentliche Grund für die Heranziehung der GVU – kann angesichts
der Grundrechtsrelevanz und einfachgesetzlichen Verpflichtung zur Neutralität nicht verfangen. Im Übrigen
belegt gerade die kostenfreie „Sachverständigentätigkeit“ des hier tätigen Mitarbeiters andere und mit neutraler
Ermittlung unvereinbare wirtschaftliche Interessen.
3. Darüber hinaus verstößt die Überlassung des PC und der CDs an die GVU gegen § 110 StPO. Danach
hat grundsätzlich die Staatsanwaltschaft die Papiere – wozu auch alle elektronischen Datenträger und –
speicher gehören – durchzusehen. Seit der Änderung der Vorschrift im Jahre 2004 darf die Staatsanwaltschaft
diese Aufgabe auch an ihre Ermittlungspersonen delegieren, was im Übrigen vom Gesetzgeber gerade
mit dem Vorhandensein von für die Durchsicht von Computern spezialisierten Beamten bei den Polizeibehörden
begründet wurde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49.Aufl., München 2006, § 110 Rn.3). An andere
Personen darf sie die Durchsicht nicht delegieren. Sie darf zwar erforderlichenfalls einen Sachverständigen
hinzuziehen, muss aber zunächst selbst oder durch ihre Ermittlungspersonen zumindest eine Sichtung vornehmen,
um die Notwendigkeit einer sachverständigen Begutachtung beurteilen zu können.
Vorliegend haben Staatsanwaltschaft und Polizei die Durchsicht vollständig der GVU – und zwar nicht nur
dem „Sachverständigen“, sondern der GVU allgemein, auch deren Rechtsabteilung – überlassen. Vor ort
erfolgte eine Sichtung des Inhalts der CDs überhaupt nicht und des PCs nur durch den Mitarbeiter der GVU.
Von Polizeibeamten oder einem Staatsanwalt wurden die beschlagnahmten „Papiere“ bis heute nicht gesichtet.
Dieses Vorgehen verstößt ebenso wie die Weisung der Staatsanwaltschaft, für die Auswertung unmittelbar
die GVU heranzuziehen, gegen § 110 StPO.