Gerichtsentscheidung: Strafrecht



§ 112 StPO

Haftgrund der Fluchtgefahr

OLG Frankfurt/M.
Beschluß vom 07.04.1965, 1 Ws 73/65


Die Straferwartung allein vermag eine Fluchtgefahr nicht zu begründen. Die Annahme einer Fluchtgefahr kann nur aus Tatsachen hergeleitet werden.

Aus den Gründen: Der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht gemäß § 112 Abs.2 Nr.2 StPO nur dann, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles, namentlich der Verhältnisse des Beschuldigten und der Umstände, die einer Flucht entgegenstehen, die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde. Der objektiv gefasste Begriff der Fluchtgefahr lässt dem Richter - im Gegensatz zu dem subjektiv gefärbten Begriff des Fluchtverdachtes des bisherigen Rechtes - nur noch einen eingeschränkten Wertungsspielraum. Die Fluchtgefahr als objektive und konkrete Gefahr, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen wird, muss deshalb an bestimmte Tatsachen anknüpfen, die jeder objektiv und unbefangen Urteilende im Sinne der Fluchtgefahr deutet (vgl. Kleinknecht in JZ 1965, 115). Die vom Gesetz geforderte Angabe der Tatsachen, aus denen sich der Haftgrund ergibt (§§ 114 Abs.2 Nr.3, 122 Abs.3 StPO n.F.) dient der Selbstkontrolle des Richters und soll eine Überprüfung ermöglichen.

Hinreichende Anknüpfungstatsachen für die Annahme einer Fluchtgefahr liegen nicht vor. Die Tatsache, dass der Angeklagte wegen der von ihm begangenen Taten zu einer Zuchthausstrafe von 2 Jahren verurteilt worden ist, von der er noch etwa 21 Monate wird verbüßen müssen, wenn die Strafe rechtskräftig werden sollte, vermag die Fluchtgefahr nicht zu begründen. Selbst wenn man die Erwartung einer hohen Strafe als Tatsache i.S. von § 112 Abs.2 StPO n.F. ansehen wollte, so muss der Wegfall der Begründungserleichterung für Verbrechen (§ 112 Abs.2 Nr.1 StPO a.F.) dahin gedeutet werden, dass der Gesetzgeber die Erwartung einer hohen Strafe für sich allein noch nicht als Haftgrund gelten lassen will. Der Angeklagte ist zwar in einem früheren Ermittlungsverfahren nach Thüringen geflohen. Dieser Umstand könnte an sich eine Fluchtgefahr für das gegenwärtige Verfahren begründen. Die Flucht in dem früheren Verfahren liegt aber vor der Verheiratung des Angeklagten im November 1963. Der Angeklagte besitzt jetzt eine hinreichende Bindung an sein Kind und seine Ehefrau, die ungeachtet des Strafverfahrens zu ihm hält. Wiederholte Hinweise des Angeklagten auf Schwierigkeiten in seiner Ehe, die in früheren Haftverschonungsgesuchen des Angeklagten enthalten sind, stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Der Angeklagte hat bei seiner Familie eine feste Wohnung und hat vor seiner erneuten Verhaftung in dieser Sache auf Grund des Beschlusses der Strafkammer vom 12.02.1965, durch den der frühere Verschonungsbeschluss aufgehoben worden ist, als Kraftfahrer gearbeitet. Es kommt hinzu, dass der Angeklagte während der Zeit seiner Verschonung mit dem Vollzug des Haftbefehls (31.8.1964 bis 12.2.1965), wenn damals auch in Unkenntnis der ihn erwartenden konkreten Strafe, nicht geflohen ist. Bei dieser Sachlage besteht auch im Hinblick auf die zu erwartende Vollstreckung der hohen Restzuchthausstrafe nicht die objektive Gefahr, dass der Angeklagte sich dem Strafverfahren entziehen wird. Objektive Anhaltspunkte für einen Fluchtwillen, etwa eine dahingehende Äußerung des Angeklagten oder bestimmte Vorbereitungshandlungen, liegen nicht vor. Eine Fluchtgefahr kann deshalb nicht bejaht werden.

Anmerkung:

Vgl. auch Landgericht Kassel, Beschluss vom 02.12.2003.




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