§ 413 ZPO, § 3 ZuSEG, § 276 BGB
Der Sachverständige hat auch dann Anspruch auf eine Vergütung, wenn er die Gründe, die zu seiner Ablehnung geführt haben, fahrlässig herbeigeführt hat.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
25. Zivilsenat in Kassel
Beschluß vom 06.05.2004, 25 W 27/04
In dem Rechtsstreit
…
hier: Beschwerde der Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse gegen den
Beschluss der 9. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Kassel vom
18. Dezember 2003, durch den der Antrag der Bezirksrevisorin auf
Feststellung, dass dem Sachverständigen SV1 keine Entschädigung
zustehe, zurückgewiesen worden ist,
hat der 25. Zivilsenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … am 6. Mai 2004 beschlossen:
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Vertreterin der Staatskasse ist nach § 16 Abs. 2 ZuSEG statthaft
und auch im übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet, da das Landgericht zu Recht die von der
Bezirksrevisorin begehrte Feststellung abgelehnt hat, dass dem Sachverständigen
SV1 für seine gesamte Gutachtertätigkeit in diesem Verfahren kein Entschädigungsanspruch
gegen die Staatskasse zusteht. Denn der Sachverständige hat die Gründe,
die zu seiner Ablehnung geführt haben, zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig
herbeigeführt.
Das Gesetz enthält keine Regelung der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen
tatbestandlichen Voraussetzungen ein gerichtlich bestellter Sachverständiger den
Anspruch auf die ihm grundsätzlich nach §§ 413 ZPO, 3 ZuSEG für seine Leistung
zustehende Entschädigung verliert, wenn er durch sein Verhalten verursacht, dass
sein Gutachten im Verfahren unverwertbar wird - wie etwa im Falle einer erfolgreichen
Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit. Die zivilrechtlichen Bestimmungen
über den Dienst- und Werkvertrag können nach der überzeugend begründeten
Auffassung des Bundesgerichtshofes in NJW 1976, 1154 nicht angewendet
werden, da sie nicht auf den Fall zugeschnitten sind, dass die Leistungen - wie
jene des gerichtlich bestellten Sachverständigen - in Erfüllung staatsbürgerlicher
bzw. öffentlich-rechtlicher Pflichten erbracht werden. Diesen Pflichten können sich
Sachverständige, die zur Erstattung von Gutachten gerichtlich aufgefordert werden,
grundsätzlich nicht entziehen (§ 407 ZPO). Die Sachverständigen können sich die
Personen, über deren Leistungen sie Gutachten zu erstatten haben, auch nicht aussuchen.
Sie erhalten grundsätzlich auch keine - frei ausgehandelte - dienst- oder
werkvertragliche Vergütung, sondern die nach dem ZuSEG limitierte Entschädigung.
Der Senat folgt daher dem Bundesgerichtshof (a.a.O.) und der seit Jahrzehnten ganz
herrschenden Meinung, welche die Frage des Entfallens des Entschädigungsanspruches
des Sachverständigen bei selbstverursachter Unverwertbarkeit
seines Gutachtens aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen herleitet, die dem
Verhältnis des Sachverständigen zum Gericht und den Belangen einer geordneten
Rechtspflege gebührend Rechnung tragen. Auch in öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen
gilt der Grundsatz von Treu und Glauben. Dieser Grundsatz wird im
besonderen durch widersprüchliches Verhalten verletzt. Es ist aber widersprüchlich, wenn der Sachverständige für eine Leistung Honorierung verlangt, die Leistung aber
selbst unbrauchbar macht. Das gilt jedenfalls bei vorsätzlicher Herbeiführung der Unverwertbarkeit
des Gutachtens durch den Sachverständigen. Andererseits wäre es
unbillig (und verstieße wiederum gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im
Verhältnis zwischen dem Sachverständigen und dem Gericht), wenn insoweit allein
an die objektive Verursachung der Unbrauchbarkeit angeknüpft würde, der Sachverständige
also seinen Entschädigungsanspruch auch dann verlöre, wenn er die Unbrauchbarkeit
des Gutachtens wegen erfolgreicher Ablehnung infolge Befangenheit
nicht verschuldet hätte.
Innerhalb der Grenzen einerseits vorsätzlicher Verursachung der Unverwertbarkeit
des Gutachtens - bei der die Sachverständigenentschädigung jedenfalls entfällt - und
andererseits ihrer schuldlosen Verursachung - durch welche der Entschädigungsanspruch
des Sachverständigen nicht tangiert wird - nimmt die herrschende Meinung
seit Jahrzehnten an, dass es zu der Stellung des Sachverständigen im Verfahrensgefüge
des Zivilprozesses nicht passt, ihm die Entschädigung bereits bei
(leicht) fahrlässigem Herbeiführen der Unverwertbarkeit seines Gutachtens zu nehmen.
Würde insoweit nämlich bereits jedes Verschulden im Sinne der Fahrlässigkeit
genügen, so würde dies die notwendige innere Unabhängigkeit der Sachverständigen
einschränken. Der gerichtlich bestellte Sachverständige ist Gehilfe der Richter
bei der Urteilsfindung; sein Beitrag hierzu ist wegen seiner besonderen Sachkunde
häufig von wesentlichem Einfluss; dieser - vom Sachverständigen neutral und in einer
nur seinem Wissen und Gewissen verpflichteten Weise wahrzunehmenden -
Funktion für eine geordnete und erfolgreiche Rechtspflege kann nur ein innerlich unabhängiger
Sachverständiger genügen (vgl. BGH a.a.O., Seite 1155). Die Wahrung
der inneren Unabhängigkeit des Sachverständigen als Gehilfen des Gerichts erfordert
es, ihm auch die Furcht vor einem Verlust seiner Entschädigung schon bei nicht
grob fahrlässigem Handeln zu nehmen. Daher entfällt der Entschädigungsanspruch
des Sachverständigen nur dann, wenn er die Unverwertbarkeit seines Gutachtens
grob fahrlässig oder vorsätzlich verursacht (vgl. OLG Frankfurt am Main OLGR 2003,
311, 312; OLG Sachsen-Anhalt, B. vom 21.11.2001, Iuris KORE 416342002;
OLG Frankfurt am Main OLGR 1998, 123; OLG München MDR 1998, 1123;
OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1353; OLG Hamm FamRZ 1994, 974; OLG Koblenz
JurBüro 1988, 1732; OLG Köln JurBüro 1982, 890; OLG Düsseldorf JurBüro 1981, 593; OLG Hamm MDR 1979, 942; OLG Hamburg MDR 1978, 237; OLG Frankfurt am
Main NJW 1977, 1502; Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei BGH NJW 1976,
1154, 1155).
Das Verhalten des Sachverständigen SV1, der durch zwei Formulierungen seines
Ergänzungsgutachtens vom 30.06.2003 (die Einwände des Beklagten gegen das
Erstgutachten zeugten von "einer gewissen Uneinsichtigkeit und eines Besserwissens"
bzw. die Behauptung über die Messung eines Kantholzes sei "schon eine idiotische
Behauptung") seine Ablehnung als befangen und damit die Unverwertbarkeit
seines Gutachtens verursachte, ist als fahrlässig, nicht aber als grob fahrlässig zu
qualifizieren. Denn diese Formulierungen entsprechen zwar nicht der üblichen und
erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) eines gerichtlichen Sachverständigen im
Zivilprozess, der zur Sachlichkeit und darüber hinaus dazu verpflichtet ist, auch jeden
Anschein von Unsachlichkeit und Voreingenommenheit gegenüber beiden Parteien
zu vermeiden. Sie stellen aber andererseits keine ungewöhnlich schwerwiegenden
Sorgfaltsverletzungen dar, bei denen dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen
Falle jedem ohne weiteres einleuchten musste (vgl. BGHZ 10, 16; OLG
Koblenz Beschluss vom 27.01.1988, Juris KORE 545328810), wenn also einfachste,
ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden (vgl. Palandt-Heinrichs,
BGB, 63. Aufl., Rdn. 5 zu § 277 m. w. N.). Zudem setzt die grobe Fahrlässigkeit über
die bei einfacher ("leichter") Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB maßgebende
objektive Sorgfaltspflichtverletzung hinaus auch subjektiv zurechenbares
schweres Verschulden voraus, wobei in der Individualität des Handelnden liegende
Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. BGHZ 10, 17; 119, 149; Palandt-Heinrichs a.
a. O.).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist das Verschulden des Sachverständigen SV1
hinsichtlich der beiden Formulierungen, die zu seiner Ablehnung führten, nicht als
"grob" zu werten. Zunächst ist hinsichtlich dieser Formulierungen hervorzuheben,
dass sie nach dem W ortlaut des der Ablehnung stattgebenden Senatsbeschlusses
vom 1. Oktober 2003 nur den - für die Ablehnung freilich hinreichenden - "Eindruck
der Voreingenommenheit" bzw. den Anschein der mangelnden Objektivität begründen,
nicht aber als Ausdruck eines festgestellten Neutralitätsmangels bezeichnet
werden. Zwar ist auch von einem Tischlermeister zu verlangen, dass er in einem
Gutachten für das Gericht die Grenzen sachlicher Formulierung einhält, erst recht,
wenn er sich - wie der Sachverständige SV1 - als Sachverständiger öffentlich bestellen
und vereidigen lässt. Andererseits sind die zur Ablehnung führenden Formulierungen
zwar polemisch, aber wiederum nicht so krass und so abwertend, dass sie
jenseits aller Maßstäbe lägen.
Abgesehen von der fehlenden objektiven Schwere der unbedachten Formulierungen
kann sich das Gericht auch nicht davon überzeugen - dass aber wäre für ein Entfallen
des Entschädigungsanspruches nötig (vgl. OLG Hamm MDR 1979, 942, m. w.
N.) - dass dem Sachverständigen bei der Wahl dieser Formulierungen ein schweres
persönliches Verschulden subjektiv zugerechnet werden kann. Der Sachverständige
SV1 ist, wie sowohl seine Einlassung im Ablehnungsverfahren gezeigt hat wie auch
seine Äußerungen im gegenwärtigen Verfahren über die Festsetzung seiner Entschädigung
beweisen, offensichtlich nach seiner Individualität nicht fähig, mit Kritik
an seiner Arbeit sachlich umzugehen. Wie der Senat im Beschluss vom 01.10.2004
näher ausgeführt hat, führte die "Entschuldigung" des Sachverständigen in seinem
Schreiben vom 05.08.2003 sogar eher zu einer Verstärkung des Anscheins einer
Voreingenommenheit des Beklagten. W eiterhin sind die Äußerungen des Sachverständigen
im gegenwärtigen Verfahren geprägt von einem ganz ungewöhnlichen
Grade von Emotionalität und Aggressivität gegenüber der Person des Einzelrichters
des Senates, der dem Ablehnungsgesuch des Beklagten in der Beschwerdeinstanz
stattgegeben hat. Formulierungen wie
"...X schlägt sich hier eindeutig auf die Seite des Beklagten
(Täterschutz)...... Der Beklagte darf alles behaupten, auch wenn es
haarsträubend falsch ist, ist dies für X kein Grund die
Falschaussagen und falschen Behauptungen der Beklagten mit in sein
Urteil (Beschluss) einzubeziehen...."
zeigen, dass der Sachverständige dort, wo er sich bzw. seine Arbeit angegriffen
sieht, persönlich zu sachlicher Reaktion unfähig ist. Wer als öffentlich bestellter und
vereidigter Gerichtssachverständiger sogar gegenüber den Gerichten vor Anschuldigungen,
die Rechtsbeugung implizieren (".... schlägt sich hier eindeutig auf die Seite
des Beklagten (Täterschutz)") und an Beleidigungen heranreichen (".... auch wenn
es haarsträubend falsch ist, ist dies für X kein Grund ..."), ohne dafür den mindesten
sachlichen Grund zu haben, ist offenbar nach seiner Persönlichkeit kaum in der Lage,
sachlich zu formulieren, wenn es um die Abwehr von Kritik geht. Bei einem solch
extrem emotionalen und bei Kritik unsachlich reagierenden Charakter erscheinen die
- im Vergleich zu den Äußerungen des Sachverständigen im gegenwärtigen Verfahren
minder schweren - Entgleisungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten
daher als durch Umstände in seiner Person zumindest mitbestimmt, welche
die Bewertung des Gebrauches dieser Formulierungen als von subjektiv groben
Verschulden getragen hindern.
Die Kostenfreiheit der vorliegenden Entscheidung und die Nichterstattbarkeit außergerichtlicher
Kosten im gegenwärtigen Verfahren folgen aus §§ 16 Abs. 5 ZuSEG.