Gerichtsentscheidung: Strafvollstreckungsrecht



§§ 68b, 145a StGB, §§ 453, 463 StPO

Ausgestaltung der Führungsaufsicht, Bestimmtheitsgrundsatz

Oberlandesgericht Frankfurt am Main
3. Strafsenat
Beschluß vom 27.08.2008, 3 Ws 765/08


In der Strafvollstreckungssache

gegen Herrn X
wegen sexueller Nötigung
hier: Ausgestaltung der Führungsaufsicht

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die einfache Beschwerde des Verurteilten gegen die im Beschluss der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel vom 24.07.2008 enthaltene Weisung, die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe oder die Durchführung von Drogenscreenings nachzuweisen, am 27. August 2008 beschlossen:

    Die in Ziff. 3 letzter Absatz des Beschlusses vom 24.07.2008 erteilte Weisung wird aufgehoben.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

G r ü n d e :

Durch des Landgerichts Kassel vom 10.05.2006 wurde gegen den Verurteilten wegen gemeinschaftlicher Nötigung und wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt. Diese Strafe verbüßt der Verurteilte derzeit in der JVA ... I, als Endstrafentermin ist der 16.09.2008 notiert.

Mit Beschluss vom 27.07.2008 hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass nach Vollerbüßung der Gesamtstrafe kraft Gesetzes Führungsaufsicht eingetreten sei (keine Anwendung des § 68 f II StGB) und hat diese näher ausgestaltet. Unter Nr. 3 letzter Absatz des Beschlusses hat die Strafvollstreckungskammer folgende Wei-sung erteilt:

"Er (i.e. der Verurteilte) hat mindestens jeden zweiten Monat seinem Bewährungshel-fer Nachweise über seine regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für suchtgefährdete Personen oder über seine Drogenabstinenz vorzulegen. Eine regelmäßige Teilnahme liegt nicht vor, falls der Verurteilte binnen eines Monats mehr als eine der planmäßigen Sitzungen schuldhaft versäumt hat."

Gegen letztgenannte Weisung richtet sich das Rechtsmittel des Verurteilten, das – wie dessen Begründung eindeutig ergibt – hierauf – und zwar in zulässiger Weise - beschränkt ist. Es handelt sich deshalb um eine einfache, d.h. nicht fristgebundene (§ 304 I StPO) Beschwerde nach §§ 463 II, 453 II 1 StPO, bei dem die Prüfungsbefugnis des Senats gem. §§ 453 II 2 StPO nur die Gesetzesmäßigkeit der Maßnahme umfasst (vgl. Senat, Beschl. v. 15.04.2003 – 3 Ws 493/03, v. 23.02.2006 – 3 WS 49+50/06 und v. 08.04.2008 – 3 Ws 329/08). Dieser Überprüfung hält die angefochtene Weisung nicht stand.

Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit beinhaltet neben der Prüfung, ob die angefochtene Entscheidung in den angewendeten Vorschriften eine ausreichende Rechtsgrundlage hat und ob Ermessensmissbrauch vorliegt, auch die Prüfung, ob der Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist (OLG Jena, StV 2008, 88; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 454 Rn 12 mwN). Jedenfalls an Letzterem mangelt es.

§ 68b I 2 StGB verpflichtet das Gericht zur genauen Bestimmung des verbotenen oder verlangten Verhaltens. Dies hat dort im Hinblick auf § 145 a StGB besondere Bedeutung, weil nur der Verstoß gegen solche Weisungen nach § 145a StGB strafbewehrt ist. Erst die genaue Bestimmung gibt diesem Tatbestand, für den die Weisungen die Funktion einer Blankettausfüllung haben, die Konturen und gewährleistet die Übereinstimmung mit Art. 103 II GG (Hanack, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 11. Aufl., § 68 Rn 9 mwN). Aber auch ohne die Klarstellung des § 68 b I 2 StGB gebietet das Rechtsstaatsprinzip die Vorhersehbarkeit, Bestimmtheit und Klarheit gerade bei Maßnahmen im Bereich des Strafrechts. Der Verurteilte muss präzise wissen, was von ihm verlangt wird (vgl. Senat, NStZ 1998, 318; NStZ-RR 2003, 199). Es besteht daher auch die Pflicht, die unbenannten Weisungen nach § 68 b II StGB möglichst genau zu bestimmen (Fischer, StGB, 55. Aufl., § 68b Rn 15). Dies gilt nicht nur bei denjenigen Weisungen, bei denen der Verstoß zum Widerruf der Aussetzung einer Unterbringung oder einer Strafaussetzung führen kann (OLG Jena aaO; Fischer aaO; Hanack, § 68b Rn 8). Diesen Anforderungen genügt die Weisung nicht.

Sie ist dahin zu verstehen, dass dem Verurteilten aufgegeben wird, wahlweise an einer Selbsthilfegruppe für suchtmittelgefährdete Personen teilzunehmen oder aber Drogenscreenings zum Nachweis seiner Drogenabstinenz durchführen zu lassen und dies dem Bewährungshelfer jeden zweiten Monat nachzuweisen.

Die – nicht strafbewehrte (§ 68b II StGB) und nicht mit einem körperlichen Eingriff oder einem stationären Aufenthalt verbundene und deshalb nach §§ 68b II 3, 56c III StGB entgegen der Ansicht der Verteidigung von eine Zustimmung des Verurteilten unabhängige - Therapieweisung legt nur die Art der abzuleistenden Behandlungsmaßnahme – nämlich Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe - fest. Hierauf durfte sich die Kammer indes nicht beschränken. Vielmehr bedarf es zumindest hinsichtlich der Bestimmung der Einrichtung, in der die Therapie zu absolvieren ist, sowie der Art und Häufigkeit der wahrzunehmenden Termine und auch der Gesamtdauer der Maß-nahme einer näheren Ausgestaltung der Weisung durch das Gericht (vgl. Senat, NStZ-RR 2003, 199). Diese Bestimmung darf weder dem Bewährungshelfer, noch der Gerichtshilfe und erst Recht nicht – wie hier geschehen - dem Verurteilten selbst überlassen werden (Senat aaO – st. Rspr.). An dieser - unabdingbar gerichtlichen - organisatorischen Ausgestaltung fehlt es. Weder ist die Selbsthilfegruppe benannt, noch ist die Teilnahmedauer bestimmt. Auch ergibt sich aus der Weisung nicht eindeutig und von vorneherein, an wie vielen Terminen monatlich der Verurteilte teilzunehmen hat.

Bezüglich den auferlegten Suchmittelkontrollen ist – auch die Begründung verhält sich hierzu nicht – schon nicht klar, ob die Weisung auf § 68b I Nr. 10 StGB oder auf § 68b II 3 StGB gestützt wird. Eine solche Klarstellung ist indes erforderlich, schon damit der Verurteilte weiß, ob der Verstoß gegen die Weisung strafbewehrt ist oder nicht (vgl. OLG Jena aaO Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 68b Rn. 3). Überdies ist die Anzahl der Screenings nicht eindeutig festgelegt (die Weisung verhält sich nur zur Frequenz der Nachweise). Schließlich ist die Art der Suchtmittelkontrollen nicht festgelegt. Einer solchen Bestimmung hätte es vor allem deswegen be-durft, weil solche Drogenscreenings, die mit körperlichen Eingriffen verbunden sind, in § 68b I Nr. 10 StGB keine Rechtsgrundlage finden (vgl. BT-Dr. 16/1993, S. 19; Fischer, § 68b Rn 13) und auch im Rahmen des § 68b II StGB nur mit – der hier nicht erteilten - Zustimmung des Verurteilten als Weisung auferlegt werden können. Jedenfalls mangels Klarstellung der Rechtsgrundlage für die Suchtmittelkontrollen ist auch die erfolgte wahlweise Auferlegung einer Therapie bzw. Suchtmittelkontrolle mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Sie widerstreitet zudem dem dargestellten Gebot, dass die dem Verurteilten per Weisung auferlegten Pflichten durch das Gericht auszugestalten sind.

Nach alledem war die angefochtene Weisung mit der Kostenfolge der entsprechend anwendbaren §§ 467 I, 473 III StPO aufzuheben. Die Kammer ist indes nicht gehindert, eine neuerliche, dem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragende Weisung zu erteilen (§ 68 d StGB). Dabei hat sie – wenn dem Verurteilten erneut Suchtmittelkontrollen auferlegt werden – mit Blick auf die Anforderungen der Zumutbarkeit auch auf die möglichen Kosten zu achten (BT-Dr. 16/1993, S. 19; Fischer, § 68b Rn 13).


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