Gerichtsentscheidung: Strafrecht



StGB § 20

Notwendige Feststellungen zur Schuldfähigkeit bei starker Alkoholisierung

Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Beschluß vom 20.05.1996, 3 Ss 106/96

Beschluß

In der Strafsache

gegen       X

wegen       fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Eschwege. vom 23. Januar 1996 gemäß § 349 Abs. 2 StPO

am 20. Mai 1996

einstimmig beschlossen:

    Das angefochtene Urteil wird unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben. Im übrigen wird die Revision als offensichtlich unbegründet verworfen.

    Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Eschwege zurückverwiesen.



Gründe:

Durch Urteil des Amtsgerichts Eschwege vom 23.1.1996 wurde der. Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen a 70,- DM verurteilt. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von 3 Monaten festgesetzt.

Hiergegen richtet sich die form- und nach den im Freibeweisverfahren durchgeführten Ermittlungen des Senats auch fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Sie hat mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg.

Zwar tragen die widerspruchsfreien Feststellungen und die aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandende Beweiswürdigung des Amtsgerichts die äußere Tatseite einer Verurteilung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Angeklagten sind offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2. StPO).

Demgegenüber sind die Feststellungen des angefochtenen Urteil zur subjektiven Tatseite der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr so knapp und unvollständig, daß sei keine hinreichende Grundlage für eine Verurteilung bieten. Sie genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung der tatsächlichen Grundlagen für die gewonnene' tatrichterliche Überzeugung, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei nur erheblich vermindert, aber nicht ausgeschlossen (§ 20 StGB) gewesen, zu stellen sind.

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, daß bei einer Blutalkoholkonzentration von über 3,0 Promille die Schuldunfähigkeit in der Regel, nahe liegt (vgl. Senatsbeschluß vom 23.11.1994 - 3 Ss 235/94; BGH, StV 1991, 297; BGHR StGB 20 "Blutalkoholkonzentration" 12 - jeweils m. w. N.). Zwar ist auch bei solchen Blutalkoholkonzentrationen eine - nur verminderte - Schuldfähigkeit nicht völlig ausgeschlossen. Um bei Blutalkoholkonzentrationen von über 3 Promille Einsichtsfähigkeit und Hemmungsvermögen als Teil der Steuerungsfähigkeit zu bejahen, bedarf es jedoch einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren Kennzeichen, des Tatgeschehens, in die (wesentlich) der Blutalkoholkonzentrationswert mit einzubeziehen ist (vgl. BGHR a.a.O.; Senatsbeschlüsse vom 29.9.1993 - 3 Ss 185/93 und 23.11.1994 - 3 Ss 235/94).

Dabei ist zu beachten, daß Erinnerungsfähigkeit und Leistungsvermögen sowie sonstigen psychodiagnostischen Beurteilungskriterien nur Beweiswert zukommt, weil auch kontrolliertes, situationsangepaßtes Verhalten einen Fortfall des Hemmungsvermögens nicht ohne weiteres ausschließen (vgl. BGHR a.a.O., BGHR StGB § 20 "Blutalkoholkonzentration" Rei m. w. N.; Senatsbeschlüsse a.a.O.). Der Tatrichter muß sich daher der Fragwürdigkeit dieser Faktoren und der dafür maßgeblichen Gründe bewußt sein und dies in seine Überlegungen mit einbeziehen (vgl. BGH NJW 1990, 778, 780).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht..

Da dem Entnahmewert von 3,13-Promille noch ein stündlicher Abbauwert von 0,2 Promille und ein einmaliger Sicherheitszuschlag von. 0,2 Promille bis zum Tatzeitpunkt hinzuzurechnen sind, ergibt sich eine deutliche Überschreitung des genannten Schwellenwertes. Die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in ihrer Stellungnahme vom 15.4.1996 unter anderem ausgeführt:

    "Das Urteil führt zwar aus, daß Anhaltspunkte dafür, daß dem Angeklagten, die Einsichtsfähigkeit gefehlt hätte oder daß seine Steuerungsfähigkeit völlig aufgehoben gewesen wäre, sich nicht ergeben hätten. Das Urteil nimmt insoweit zwar auf den ärztlichen Untersuchungsbefund bei der Blutentnahme Bezug, teilt jedoch dessen Inhalt im. Urteil selbst nicht mit und gibt nur das Ergebnis der Aussage des Polizeibeamten, dem der Angeklagte nicht sinnlos betrunken erschien, mit, obgleich - allerdings nicht näher erläuterte - motorische Störungen, die dieser Zeuge jedenfalls auch als seine Beobachtungen bekundet hatte, nach Ansicht des Gerichts in erster Linie auf die Schlaftrunkenheit des Angeklagten zurückzuführen seien Soweit das Tatgericht damit die Schuldfähigkeit des Angeklagtenbejaht, ist dies unzureichend.

    Das Tatgericht hätte unter Überprüfung der äußeren und inneren Merkmale des Tatgeschehens sowie einer Beurteilung des Angeklagten hinsichtlich seiner Persönlichkeit und seiner Konstitution eine Gesamtwürdigung seiner Schuldfähigkeit vornehmen müssen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 28.11.1995 - 3 Ss 298/95 -). Daran fehlt es hier aber im erforderlichen Maße.

    Da zudem zum Entnahmewert von 3,13 Promille ein stündlicher Abbauwert von maximal 0,2 Promille und ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille bis zu dem nach den Feststellungen des Gerichts frühestmöglichen Tatzeitpunkt um 0 00 Uhr hinzuzurechnen ist, ergibt sich mithin eine Blutalkoholkonzentration, die so massiv gewesen sein könnte, daß zur sicheren Beurteilung der Frage des Ausschlusses der Schuldfähigkeit sich das Amtsgericht der Hilfe eines geeigneten Sachverständigen hätte bedienen müssen (OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 8.3.1994 - 3 Ss 35/94 -; OLG Düsseldorf in: VRS 87, S. 29 ff., 31; OLG Düsseldorf in: VRS 87, S. 330, 333). Der Schuldspruch kann mithin keinen Bestand haben."

Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Ergänzend ist lediglich zu bemerken: Das Amtsgericht hat in seinem Urteil keinerlei Faktoren aufgenommen, die zweifelsfreie Rückschlüsse auf die Befindlichkeit des Angeklagten vor Fahrtantritt zuließen. Es hat zum Trinkbeginn und zum Verlauf ebenso wenig Feststellungen treffen können wie zur psychischen und physischen Verfassung des Angeklagten zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes. Die Bezeichnung als "Alkoholgewohnt" mag zwar ein taugliches Indiz für eine höhere Alkoholverträglichkeit des Angeklagten sein. Daraus kann aber nicht zweifelsfrei geschlossen werden, daß dessen Hemmungsvermögen, wenn auch eingeschränkt, bei der hohen Blutalkoholkonzentration von deutlich über 3,0 Promille noch vorhanden war (vgl. Senatsbeschluß vom 23.11.1994 - 3 Ss 235/94). Das festgestellte Nachtatverhalten vermag jedenfalls allein bzw. nur zusammen mit der Alkoholgewöhnung des Angeklagten nicht zweifelsfrei das Vorhandensein eines nur eingeschränkten Hemmungsvermögens vor Fahrtantritt zu begründen (vgl. Senatsbeschluß vom 8.6.19.94 - 3 Ss 144/94). Dies gilt um so mehr, als bei Zurückführung der festgestellten "motorischen Störungen" allein auf die Schlaftrunkenheit des Angeklagten nicht berücksichtigt worden ist, daß der Angeklagte durch den Unfall möglicherweise ernüchtert worden sein könnte (vgl. BGH, NStZ 1983, 19; Senatsbeschluß vom 8.4.1994 - 3 Ss 109/94 . N.). Vor allem aber läßt das angefochtene Urteil nicht erkennen, daß der Tatrichter sich der Problematik der psychodiagnostischen Beurteilungskriterien bewußt war und was, ihn trotz dieser Problematik veranlaßt hat, Zweifel am Vorliegen nur eingeschränkter Schuldfähigkeit zu überwinden.

Da die aufgezeigten Fehler jedoch nur die innere Tatseite berühren, können die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleibe (BGHSt 14, 30, 38; Senatsbeschlüsse vom 8.3.1994 - 3 Ss 35/94 und vom 10.2.1995 - 3 Ss 434/94; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 353 Rdn. 15 - jeweils m. w. N.).

Mithin war das Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange aufzuheben (§ 353 Abs. 1, 2 StPO) und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Eschwege zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).




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