Gerichtsentscheidung: Umgangsrecht



BGB §§ 1628, 1687, 1697a

Will ein Vater mit seinem vierjährigen Sohn eine Flugreise ins Ausland unternehmen, ist ihm das auch dann zu gestatten, wenn die Kindesmutter und das Kind diese Reise nicht wünschen und der Vater die Reise ohne Wissen der Mutter gebucht hat.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main
2. Familiensenat in Kassel
Beschluß vom 30.07.2008, 2 UF 185/08


Sachverhalt

Die Parteien des Rechtsstreits haben einen gemeinsamen vierjährigen Sohn und üben das gemeinsame Sorgerecht über das Kind aus. Das Kind lebt bei der Mutter, der Vater hat alle 14 Tage Wochenendumgang mit dem Kind. Für die Ferienzeiten vereinbarten die Parteien einen geschlossenen Umgang des Kindes mit dem Vater für 2 Wochen. Ohne dies mit der Kindesmutter abzustimmen, buchte der Kindesvater für sich und seinen Sohn außerhalb der Kindergartenferien eine Reise nach Mallorca. Wegen einer körperlichen Behinderung des Kindesvaters und weil dieser bislang stets nur an Wochenenden Umgang mit dem Kind hatte, erhob die Kindesmutter Einwände gegen die nicht mit ihr abgestimmte Auslandsreise und bot statt dessen an, der Kindesvater möge aus Sicherheitsgründen zunächst innerhalb Deutschlands eine Reise mit dem Kind unternehmen, wo es für sie im Notfalle erreichbar sei. Das vierjährige Kind wünschte keine Auslandreise mit dem Vater zu unternehmen.

Das Amtsgericht teilte die Bedenken der Mutter und wies den Eilantrag des Kindesvaters mit folgender Begründung ab (AG Kassel, Beschluß vom 07.07.2008, 531 F 1908/08 UG):

    "Demgegenüber ist vorliegend beachtlich, daß - insoweit unstreitig - der Antragsteller in der Vergangenheit mit dem gemeinsamen Sohn der Parteien noch keinen zusammenhängenden Umgang über 14 Tage wahrgenommen hat. Auch unter der Voraussetzung, daß zwischen dem Antragsteller und dem Kind X ein emotional gefestigter Kontakt besteht, ist vorliegend die Befürchtung der Antragsgegnerin nicht von vornherein als unbegründet zu erachten, wonach aufgrund der Dauer des geplanten Umgangskontaktes einerseits und dem gewählten Ort des Umgangs auf Mallorca andererseits es dazu kommen könnte, daß X aufgrund der räumlichen Entfernung zu seiner Mutter und zu seiner gewohnten Umgebung emotional destabilisiert werden könnte. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigten, daß es bei dem betroffenen Kind aufgrund der altersgemäß noch unzureichend entwickelten Reflexions- und Einsichtsfähigkeit bei der Situation, daß es sich über einen längeren Zeitraum hinweg von seiner Mutter getrennt in einer völlig fremden Umgebung wiederfindet, leicht zu einer Überforderungssituation kommen dürfte. Während bei einem Urlaubsaufenthalt innerhalb der Grenzen Deutschlands einer solchen Gefährdungssituation leicht dadurch begegnet werden könnte, indem die Antragsgegnerin schnell und komplikationslos den persönlichen Kontakt zu ihrem Sohn wieder herstellen könnte, ist dies bei dem geplanten Aufenthalt auf Mallorca nicht ohne weiteres möglich, aufgrund der eingeengten finanziellen Verhältnisse beider Parteien möglicherweise sogar ausgeschlossen."

Auf die sofortige Beschwerde des Kindesvaters hob das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Entscheidung einen Tag vor der geplanten Flugreise auf, gestattete dem Kindesvater die Auslandsreise und übertrug ihm das Sorgerecht für die Beantragung eines Kinderausweises.


Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist gemäß § 621e ZPO zulässig und in der Sache begründet.

Die Entscheidung zu dem vom Vater beantragten Umgangskontakten muß sich gemäß § 1697 BGB [sic! richtig: § 1697a BGB, Anm.] am Kindeswohl orientieren. Die Frage, ob X generell mit dem Vater Ferienkontakte wahrnehmen soll, ist zwischen den Eltern nicht streitig; sie haben sich darauf geeinigt, daß X im Sommer zwei Wochen bei seinem Vater verbringen soll. Streit besteht ausschließlich dazu, wo und wann genau der Umgang stattfinden soll.

Bezüglich der vom Antragsteller gewünschten Ferienzeit ist zunächst festzustellen, daß zwischen den Parteien keine konkrete Vereinbarung dahin getroffen worden war, daß der Ferienumgang innerhalb der Kindergartenferien stattfinden sollte. Gründe, die dagegen sprechen, daß der im Februar 2008 für einen zusammenhängenden Zeitraum von 2 Wochen verabredete Ferienaufenthalt des Kindes beim Vater nicht in dem von ihm vorgeschlagenen Zeitfenster stattfinden soll, sind nicht ersichtlich. Die vom Antragsteller vorgeschlagene Ferienzeit orientiert sich offenkundig an der von ihm gebuchten Reise. Denn die Reise beginnt am Donnerstag, den 31. Juli 2008 und führt am nächsten Donnerstag zurück nach Deutschland. Die vom Antragsteller vorgeschlagenen zwei Wochen umfassen diesen Zeitraum.

Gegen den beantragten Umgangskontakt spricht auch nicht, daß der Ferienaufenthalt über die Kindergartenferien hinausgeht. Das Kind wird auch dann, wenn es erst eine Woche nach dem Beginn des neuen Kindergartenjahres in die Gruppe zurückkehrt, ausreichend Gelegenheit haben, neue Kinder kennenzulernen.

Soweit die Antragsgegnerin sich darauf beruft, der Antragsteller habe ihrer Zustimmung zu einer Reise nach Mallorca bedurft, kann der Senat dem nicht folgen. In der Regel ist davon auszugehen, daß der umgangsberechtigte Elternteil, den Aufenthaltsort des Kindes während des Umgangs bestimmt und daß dies auch nicht eines gerichtlichen Ausspruches bedarf. Denn das Umgangsrecht führt im Ergebnis zu einer Einschränkung der elterlichen Sorge des betreuenden Elternteils, was selbst bei einer alleinigen elterlichen Sorge des betreuenden Elternteils die Annahme rechtfertigt, daß die dem Kindeswohl zuträglichen Ferienkontakte auch mit einer Auslandsreise verknüpft werden können (OLG Frankfurt, FamRZ 2007, 664-665; OLG Frankfurt, FamRZ 1999, 1008).

[...]

Nachdem die Antragsgegnerin bis heute nicht daran mitgewirkt hat, daß X den für eine Auslandsreise notwendigen Kinderausweis bekommt, ist wegen der Eilbedürfigkeit der Sache dem Antragsteller antragsgemäß zeitlich begrenzt das alleinige Recht dazu einzuräumen, nunmehr einen Kinderausweis für X zu beantragen, § 1628 BGB (OLG Köln, FamRZ 2005, 644). Nur der Klarstellung halber war auszusprechen, daß er das Ausweispapier nach dem Ende der Reise dem betreuenden Elternteil aushändigen muß.


Anmerkungen:

Die Ausgestaltung des Verfahrens und die Rechtsauffassungen des Oberlandesgerichts Frankfurt begegnen inbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1993 (NJW 1993, 2671) rechtlichen Bedenken.

Das Oberlandesgericht sah sich auf Grund der bereits für den 31.07.2008 gebuchten Reise gedrängt, noch am 30.07.2008 eine Entscheidung zu treffen. Weder ließ sich der Senat im Hinblick auf das Kindeswohl sachverständig beraten, noch holte das Gericht ärztliche Unbedenklichkeits-bescheinigungen bezüglich der geplanten Flugreise ein (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2007, 1008; FamRZ 1999, 1008). Der Senat hielt es für unbeachtlich, daß der Kindesvater die Flugreise nach Mallorca ohne Wissen und Einverständnis der Kindesmutter gebucht hatte, obgleich das Oberlandesgericht Köln in der vom Senat zitierten Entscheidung (FamRZ 2005, 644) zutreffend darauf hinweist, daß Entscheidungen über eine Auslandsreise von den Eltern nur gemeinsam getroffen werden sollen (vgl. auch § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB; OLG Köln, NJW 1999, 295; OLG Naumburg, FuR 2000, 235; Palandt/Diederichsen, 67. Auflage, § 1687 Rn. 6). Die beisitzende Richterin brachte die Rechtsauffassung des Senats in der mündlichen Anhörung auf die Formel, die Kindesmutter müsse sich davon verabschieden, daß sie entscheide, wo das Kind sich aufhalte. Das bestimme während der Ausübung des Umgangs allein der Kindesvater. Folglich könne der Kindesvater auch eine Auslandsflugreise ohne Wissen und Einverständis der Mutter organisieren. Ferner brachte der Senat zum Ausdruck, es täte dem Gericht leid, wenn der bereits entrichtete Reisepreis verfiele. Welche Relevanz dieser Umstand im Hinblick auf die zu entscheidenden Rechtsfragen hat, teilt der Senat nicht mit. Die Erwägung verdient indessen besondere Aufmerksamkeit in Ansehung der in der mündlichen Verhandlung protokollierten Angabe des Kindesvaters, er verfüge über ein monatliches Einkommen von 1.160,- Euro bei monatlichen Miet- und Mietnebenkosten in Höhe von lediglich 410,00 Euro, zahle jedoch nur 63,- Euro monatlichen Unterhaltsvorschuß. Der Senat sah keine Veranlassung, die Frage zu erörtern, ob eine mögliche strafbare Unterhaltspflichverletzung des Kindesvaters Auswirkungen auf das gefundene Ergebnis haben könnte.

Ein Unterhaltspflichtiger ist bereits dann als leistungsfähig anzusehen, wenn er in der Lage ist, den Unterhalt ohne Gefährdung des eigenen Existenzminimums (unabweisliche Kosten für Ernährung, Kleidung und Wohnung, Erhaltung der Gesundheit) zu erbringen (vgl. BGH NJW 1984, 1614 m.w.N.; BayObLG 94, 65; BGH FamRZ 1989, 171). Dem Unterhaltsverpflichteten müssen lediglich die Mittel für "die einfachsten Lebensverhältnisse für den eigenen Unterhalt verbleiben" (BGH FamRZ 1989, 171, 172). Im Rahmen dieser gegenüber der gesetzlichen Regel in § 1603 Abs. 1 BGB erweiterten Unterhaltspflicht steht den Eltern nicht der angemessene, sondern nur der notwendige Selbstbehalt zu (Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 170 Rn. 21). Die Opfergrenze ist nur etwas über dem Sozialhilfebedarf anzusetzen (vgl. BSG FamRZ 1985, 380; BGH NJW 1984, 1614; BGHZ 111, 194, 198). Einen Widerspruch zwischen den geringen Unterhaltsleistungen und der unabgestimmten Buchung einer Flugreise vermochte der Senat nicht zu erkennen.

Die Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt, aus dem Aufenthaltsbestimmungsrecht des umgangsberechtigten Elternteils folge, daß dieser ohne Abstimmung mit dem anderen Sorgeberechtigten eine Auslandsflugreise mit dem Kind unternehme dürfe, ist, zumal bei Kindern im Vorschulalter, als zuweitgehend anzusehen. Soweit ersichtlich, steht das OLG Frankfurt mit dieser Ansicht alleine da. Auslandsreisen eines Elternteils mit dem Kind läßt die Rechtsprechung lediglich zu, wenn ein oder beide Elternteile Ausländer sind und das Kind die im Ausland wohnende Familie der Eltern oder eines Elternteils besuchen soll (vgl. OLG Köln, a.a.O.). Auch in diesem Fall hat jedoch regelmäßig eine vorherige Abstimmung mit dem anderen Elternteil zu erfolgen (vgl. OLG Köln, a.a.O.; NJW 1999, 295). Eine Auslandsreise ist keine Angelegenheit des täglichen Lebens, die ein Sorgeberechtigter alleine treffen darf, sondern vielmehr eine Angelegenheit, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist und daher gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenseitiges Einvernehmen der Eltern voraussetzt (OLG Köln, NJW 1999, 295).

Die Entscheidung des OLG Frankfurt, die die Genehmigung einer unabgestimmten Flugreise allein für eine Frage des Kindeswohls im Sinne von § 1697a BGB hält, nicht aber als sorgerechtliches Problem (§ 1687 BGB) erkennt, geht deshalb bereits von einem unrichtigen Ansatz aus. Dem Kindesvater wäre gemäß § 1628 BGB die Durchführung der Reise zu untersagen gewesen (vgl. OLG Köln, NJW 1999, 295).

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß nach Auffassung des 2. Familiensenats des Oberlandesgerichts Frankfurt ein Kindesvater, der trotz hinreichenden Einkommens nur 63,- Euro Unterhalt zahlt, dafür zu belohnen ist, daß er sich, statt Unterhalt zu zahlen, einen Urlaub auf Mallorca leistet und diese Flugreise ohne Einverständnis der Kindesmutter gebucht hat.

Rechtsanwalt Frank Löwenstein


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